Volkstümliches in vollendeter Raffinesse

MELANIE POLLINGER / Main Echo

ASCHAFFENBURG. Nicht den Revoluzzer, sondern den Neoklassizisten Paul Hindemith (1895 bis 1963) haben die Besucher des Schlosskonzerts am Sonntagabend kennengelernt. Das virtuose und beseelte Spiel des Solisten Diyang Mei im »Schwanendrehrer«-Konzert für Viola und Kammerorchester hätte sicher auch dem Komponisten große Freude bereitet.

Das Orchester Collegium Musicum unter Leitung von Michael Millard folgte den Höhenflügen des 1994 in Beijing geborenen und mit zahlreichen internationalen Preisen – unter anderem zwei erste Plätze im ARD-Wettbewerb 2018 – dekorierten Ausnahmetalents sichtlich hingerissen, doch mit großem Feingefühl und extrem diszipliniert.

Kraftvoll


Atemlos lauschten die rund 200 Zuhörer im Ridingersaal dem Trillern und Seufzen der Viola im Wechsel mit perlenden Harfenklängen (Sonja Fiedler) im zweiten Satz des »Konzerts nach Volksliedern« aus dem Altdeutschen Liederbuch von Franz Magnus Böhme. Hindemith hatte die über 500 Jahre alte Weise »Nun laube, Lindlein laube« in ein zu Herzen gehendes Klanggemälde aus Abschiedsschmerz und brennender Sehnsucht verwandelt. Der junge Bratschist erfüllte, mit geschlossen Augen, die ruhig dahinfließenden Passagen mit betörender Süße.

»Der Schwanendreher« war 1935 entstanden und wurde – mit Hindemith persönlich als Solist – im Ausland, in Amsterdam, uraufgeführt, weil die Nationalsozialisten den Komponisten bereits als »entartet« verfolgten. Diese Tatsache verleiht dem vollendet schönen Kammerkonzert zusätzliche Tragweite.

Glanzlichter des mäßig bewegten, aber streckenweise sehr kraftvollen ersten Satzes »Zwischen Berg und tiefem Tal« waren unter anderem die spannungsreichen Dialoge der Bratsche mit der Pikkoloflöte (Katharina Dehn) und der Posaune (Harald Kullmann). Im dritten Satz »Seid ihr nicht der Schwanendreher« wechselten verführerische lyrische Passagen mit lebhaften Tanzrhythmen. All das geschah im perfekten Zusammenklang der Bläser und Streicher – allerdings ohne Geigen.

Auch die beiden Serenaden, mit denen Diyang Meis denkwürdiger Auftritt umrahmt wurde, sind ohne Geigen orchestriert. Die d-moll-Serenade opus 44 von Anton Dvorak (1841 bis 1904) kommt mit nur je zwei Oboen, Klarinetten, Fagotten, einem Kontrafagott, drei Hörnern, einem Cello und einem Kontrabass aus. Dass die wenigen Instrumente mitreißede Fest- und Abendstimmung zaubern können, liegt am Komponisten: Er kleidete tschechische Volksweisen in elegante Menuette und bewegende Andantes, mischte Raffiniertes mit Geschwätzigem und einer Prise Spott.

Wunderschön brachte das kleine, feine Kammerorchester im zweiten Satz die Rhythmen der gemäßigten Sousedská und des schnellen Furiants – der mit seinen Wechseln zwischen Zweiviertel- und Dreivierteltakt dem bayerischen Zwiefachen ähnelt – zum Schwingen. Und war da nicht ein Hauch von Swing zu hören im Mozart-seligen dritten Satz?

Spaß der Moderne


Etwas größer, aber sparsam für den großen Romantiker, ist die Orchesterbesetzung für die A-Dur Serenade opus 16 von Johannes Brahms (1833 bis 1897). Auch hier breitet sich eine reiche Gefühlspalette zwischen Melancholie und Glückstaumel aus. Man konnte sie förmlich sehen im fünften Satz, die fein gekleideten Besucher einer Abendgesellschaft, wie sie aufgeregt zum Waldrand strömten, aus dem heraus die Hörner schallten. Und waren da nicht schon wieder, im vierten Satz »Quasi Menuetto«, Rhythmen aus einer aufregend neuen Welt zu hören? War sicher nur Spaß, denn ein Nachhall der Wiener Klassik setzte dem modernen Spuk rasch ein Ende.

Quelle: main-echo.de

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