»Breakin’ Bach« reißt temperamentvoll Genregrenzen ein

HEINZ LINDUSCHKA | Main-Echo

ASCHAFFENBURG. Das Konzert am Sonntagabend in der Aschaffenburger Christuskirche dürfte zu den Höhepunkten der spannenden Bachtage 2019 gehören: Christopher Miltenberger und Stefan Weilmünster haben in ihrer Musikerkarriere immer wieder bewiesen, dass es für sie nur eine Grenze gibt: die zwischen guter und schlechter Musik.

Ansonsten sind die beiden Musik-Multitalente, deren Funktionen zwischen Lehrstuhl, Dirigententätigkeit, pädagogischer Arbeit, Chor- und Orchesterleitung und natürlich brillantem Klavier- und Saxophonspiel zu vielfältig sind, um sie aufzuzählen, zu fast jedem interessanten Experiment bereit. Klassische Musik und Jazz sind für sie keine Gegensätze, sondern zwei Seiten einer Medaille: guter, anregender Musik.

»Breakin‘ Bach« lautete der Titel des Konzerts im lichtdurchfluteten modernen Kirchenraum und nach 80 Minuten bewies der langanhaltende euphorische Beifall der rund 200 Besucher: Experiment gelungen, Johann Sebastian Bach (1685 bis 1750) und Georg Philipp Telemann (1681 bis 1767) klingen auch in Jazz-Versionen faszinierend.

Das zeigte schon der Einstieg, als Miltenberger am Flügel und Weilmünster am Saxophon die Telemann-Sonate in c-Moll mal einschmeichelnd-harmonisch, mal pointiert und dynamisch im perfekten Dialog zelebrierten und gleich danach mit der »Hot-Sonate« des tschechischen Komponisten Erwin Schulhoff (1894 bis 1942) für Altsaxophon und Klavier aus dem Jahr 1930 souverän die klassische Sonatenform in spannender Symbiose mit dem Jazz der 20er Jahre hören ließen. Die Leichtigkeit und Spontaneität der vier Sätze ohne Tempoangaben brachten die beiden Musiker so authentisch zum Klingen, dass vermutlich so manchem Zuhörer tatsächlich »heiß« wurde.

IN BANN GEZOGEN

Eine Hommage an Philip Glass (geboren 1937) war »Passat« aus »Glassworks«, Glass‘ Hauptwerk von 1981, das aufmerksame Hörer schnell in seinen Bann zieht mit einem Stil, den man »mimimal music« nennt und der deutliche Anklänge an die indische Musik des Ravi Shankar 1920 bis 2012) aufweist. In der Christuskirche ließen Miltenberger und Weimünster ahnen, warum man diesen Stil auch als »repetitiv-hypnotisch« bezeichnet. Jedenfalls schlossen viele Zuhörer die Augen und ließen sich auf die Musik ein.

Crossover von Klassik und Jazz in Perfektion bot die Interpretation einer Flötensonate des berühmtesten Bachsohns, Carl Philipp Emanuel (1714 bis 1788), die Sopransaxophon und Flügel in ihrem ausdrucksstarken Dialog mit den intensiven Tempo- und Dynamikwechseln der drei Sätze so mitreißend zelebrierten, dass lebhafter Beifall und Füßetrappeln die Christuskirche in einen Konzertsaal mit begeisterten Zuhörern verwandelte. Die Expressivität der beiden Musiker übertrug sich nahtlos auf der Publikum und spätestens jetzt konnte es keinen Zweifel mehr geben, dass es keinen Grund für eine ideologische Trennung von Jazz und Klassik gibt und dass sich beide Genres im Idealfall zu wunderbarer Symbiose finden.

INTENSIV UND AUSDRUCKSSTARK

Nach diesem Triumph des Bachsohns am Übergang zwischen Barock und Klassik hatte dann doch Johann Sebastian Bach das (vor-)letzte Wort: Weilmünster und Miltenberger, der für die Jazzarrangements verantwortlich zeichnete, zauberten Jazzversionen von Bourree und Menuett so intensiv und expressiv ins Kirchenschiff, dass vermutlich auch Bach selbst diese Version geschätzt hätte, die Fassung mit einem Instrument, das erst 90 Jahre nach seinem Tod zum ersten Mal zu hören war. Jetzt brachte Weilmünster den tiefen, warmen, vollen Ton des Basssaxophons zum Klingen – ein echtes Hörerlebnis! Die perfekte Abrundung dieser spannenden Musikreise durch viele Länder und durch drei Jahrhunderte ohne jede »Grenzkontrolle« fanden Miltenberger und Weilmünster, der als witzig-informativer Moderator übrigens genau so überzeugte wie als brillanter Saxophonist: Die »Three Preludes« des George Gershwin (1898 bis 1937) von 1926, ein neuer Beweis dafür, dass Charleston-Rhythmus, Anklänge an den Blues und schneller Foxtrott auch in der Kombination von Klavier und Saxophon Eindruck hinterlassen, wenn sie von zwei solchen Könnern mit ihrer Spielfreude, ihrer technischen Brillanz und ihrem bruchlosen Zusammenspiel serviert werden.

Christopher Miltenberger ist am Sonntag, 20. Oktober, um 18 Uhr im Aschaffenburger Hofgarten-Kabarett zu hören, wenn er mit dem Folk-Duo Romie – Paula Stenger und Jule Heidmann – zu »Lagerfeuerklavier, Musik und Plauderei« einlädt.

Quelle: main-echo.de

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